Café Venus 

Wo soll es hin gehen

„Ich weiß nicht Renate, eigentlich kann ich zurzeit nicht weg.“ Seit einer halben Stunde redet meine beste Freundin auf mich ein, dass ich sie zu einer Lesung begleiten soll. Wenn die Lesung in ihrer Buchhandlung stattfinden würde, hätte ich ja nichts dagegen. Renate möchte mich aber in die Tiefen des Bayerischen Waldes schleppen.
„Wie heißt dieser Ort noch mal?“, frage ich und verschränke die Arme vor meiner Brust. „Viechtach, und er liest im Café Venus“, schwärmt sie. Wenn es um ihn geht; kann sie nicht normal reden, ihr Stimme bekommt einen lieblichen, piepsigen Unterton. 
„Es ist seine erste Lesung, deshalb muss ich unbedingt hin, bitte komm doch mit“, bettelt sie weiter. 
Ich verdrehe die Augen. „Lade ihn doch einfach zu dir ein, mit deiner Überzeugungskraft schaffst du es bestimmt.“ Ich muss aufpassen, dass mein Sarkasmus nicht herauszuhören ist, aber Renate achtet weder auf meine Wortwahl noch auf meine Betonung. 
Erschrocken reißt sie die Augen auf, „bist du denn verrückt, Lutz Ortwin hält doch keine Lesung in meiner Buchhandlung.“ Ich zucke mit den Schultern und weiß nicht, was ich erwidern soll. Am besten wäre es, wir würden das Thema wechseln. Welcher unbekannte Autor würde sich nicht über die Möglichkeit einer Lesung in einer Buchhandlung freuen. Mit Renate darüber zu diskutieren, ist mir aber zu anstrengend. Müde reibe ich meine Nasenwurzel. „Ok, ich verstehe es nicht, aber das muss ich auch nicht“, sage ich und greife nach meinem Glas Wein. Ich hätte es mir denken können, als Renate den Rosé bestellte, hatte sie nichts Gutes im Sinn. Es ging lediglich darum, mich herumzubekommen. 
Ich kenne sie seit drei Jahren, und genauso lange ist sie auch schon meine beste Freundin. Wir haben uns beim Yoga kennengelernt und dass sie fünfzehn Jahre älter ist, haben wir erst viel später festgestellt. Da hatten wir schon zwei Partys zusammen gefeiert und drei Mistkerle in die Wüste geschickt. Wenn wir uns bei einem einig sind, dann ist es wegen der Männer. Auf blöde Anmachsprüche fallen wir nicht herein. 
Renate winkt dem Kellner zu und gestikuliert, dass wir noch Nachschub möchten, na ja, eher sie, mir würde es schon reichen. Er nickt und kommt mit der Weinflasche an unseren Tisch. 
Elegant füllt er die Gläser nach. Meine Freundin bedankt sich überschwänglich und schaut ihm grinsend hinterher. Ich beobachte sie und trete ihr unter dem Tisch ans Schienbein. „Aua!“, ruft sie laut auf und bückt sich, um die Stelle zu reiben. „Was soll das denn?“, ruft sie eine Spur zu laut auf, wobei ihr Grinsen breiter wird.
  „Das fragst du noch? Ich wollte nur verhindern, dass du sabbernd vom Stuhl fällst.“ 
„Vielleicht wäre er mir ja zu Hilfe geeilt“, wirft sie mir schmollend vor.
„Der Junge hat wahrscheinlich noch nicht mal einen Führerschein, ergo auch keinen Erste-Hilfe-Kurs. Der ältere Herr von dort hinten wäre gekommen, um dir eine Mund-zu-Mund-Beatmung zu geben!“ Renate schaut in die Richtung, in die ich zeige, und verzieht angewidert das Gesicht.
„Wie gut, dass du mich davor gerettet hast“, presst sie leise heraus und ist bemüht, nicht laut loszulachen. 
Ich greife nach meinem Glas und nehme einen Schluck dieses köstlichen Weines, von dem wir beide schon ein wenig zu viel haben. Nachdem sich Renate beruhigt hat, geht sie wieder in die Offensive. 
„Wir können einen Abstecher nach Regensburg machen, wenn du magst. Ich habe das Apartment für vier Tage gemietet“, sagt sie so locker, dass ihr gar nicht auffällt, dass sie sich verraten hat. „Du hast also doch schon etwas gemietet!“, sage ich vorwurfsvoll und sie schlägt sich die Hand vor den Mund. Mit großen Augen schaut sie mich an und wartet auf eine Reaktion von mir. 
Ich frage mich, wie kann eine Frau, Mitte vierzig, so besessen von einem Schriftsteller sein? Seit sie vor einem Jahr die kleine Buchhandlung übernommen hat, ist etwas mit ihr geschehen. Ich führe das auf die vielen Geschichten zurück, die sie tagtäglich umgeben. Vielleicht möchte man auch diesen Zauber erleben, den so großartige Autorinnen und Autoren auf Papier bringen, wenn sie ihre Gefühle, mit viel Kreativität und zum Schluss, mit einem Happy End zwischen zwei Buchdeckeln packen.
Dass das Leben ganz anders aussieht, wissen Renate und ich nur zu gut. In stundenlangen Gesprächen, die meistens die ganze Nacht dauerten und mit einem Frühstück endeten, haben wir einander therapiert.
„Kannst du mir erst erklären, was an diesem Lutz Ortwin so besonders ist?“ Ich möchte sie noch eine Weile zappeln lassen, obwohl mir klar ist, dass ich meine Freundin nicht allein reisen lassen kann. Nicht, wenn sie kopflos einem Schriftsteller hinterherjagt. 
Sie setzt sich aufrecht hin, legt ihre Hände auf den Tisch. Sie erweckt in mir den Eindruck, als müsste sie in der Schule ein wichtiges Referat halten.
„Er ist einfach toll“, platzt es aus ihr heraus. Ich schaue sie an, sage keinen Ton, weil ich doch ein wenig mehr erwartet habe. „Es geht gar nicht so um sein Aussehen, es gibt kaum Bilder von ihm“, fährt sie fort. „Er lebt sehr zurückgezogen, gibt kaum was von sich preis. Aber das, was er schreibt!“, wieder diese liebliche, piepsende Stimme. Sie stützt die Ellenbogen auf den Tisch und legt ihr Kinn auf ihre Hände, um dann verträumt mit den Augen zu rollen.  „Okay“, sage ich langsam, um zu vermeiden, dass sie einen Herzinfarkt bekommt. „Ich werde für vier Tage Bayerischer Wald einpacken, aber du musst mir vorher noch was von diesem Ausnahmeschriftsteller zu lesen geben.“
Renate springt mit einem Aufschrei auf, zieht mich von meinem Stuhl hoch und umarmt mich so fest, dass ich kaum noch Luft bekomme. Ich vernehme ein, „Danke Lena, Danke, Danke, Danke!“, an meinem Ohr, was sie so laut sagt, dass ich heute Abend mit einem kleinen Tinnitus einschlafen werde.
Nachdem sie mich wieder losgelassen hat, schaut sie beschämt um sich herum. Natürlich haben wir mit ihrem Auftritt die ganze Aufmerksamkeit auf uns gezogen. 
Der ältere Herr in der Ecke schaut uns pikiert an und richtet seine Krawatte. Der Kellner stattdessen, kommt grinsend mit zwei Sektgläsern auf uns zu: „Ich weiß natürlich nicht, was es zu feiern gibt, aber es scheint mir, sie möchten darauf anstoßen, zum Wohl!“ Er stellt die Gläser vor uns ab, zwinkert Renate noch einmal zu und verlässt leicht pfeifend unseren Tisch. Sie nimmt ihr Glas in die Hand und schaut ihm lasziv lächelnd hinterher. „Und ob er zu Hilfe geeilt wäre“, sagt sie so leise, dass nur ich sie verstehen kann.
 

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