Aus zwei mach eins

»Verdammt, was war das!« Ich schrecke hoch. Mein Herz hämmert gegen meinen Brustkorb. In meinem dunklen Wohnzimmer versuche ich auszumachen, wo der Knall herkam, der mich aus meinem Traum gerissen hat. Da, wieder. Ich schalte die Stehlampe an und sehe, dass die Balkontür zuschlägt. Ein heftiges Unwetter wütet draußen. Ich springe auf und schließe die Tür. Meine Socken saugen sich mit dem Regen voll, den der Sturm auf meinem Parkett verteilt hat. »Verdammt«, fluche ich. Auf dem Weg in die Küche, um einen Putzlappen zu holen, schaue ich auf die Uhr, noch nicht mal Mitternacht. Ich suche in jedem Schrank. Wo zum Teufel hat meine Ex diese Dinger versteckt. Unter der Spüle werde ich endlich fündig. Ich gehe zurück zur Wasserlache und werfe den Putzlappen darauf. Mit meinem Fuß wische ich das Wasser zusammen, meine Socken sind ohnehin schon nass. Um mich nicht weiter mit dem Lappen zu beschäftigen, öffne ich die Balkontür und kicke ihn raus. Ich schließe die Tür und setze mich auf mein Sofa, wo ich bis eben noch selig schlief. Jetzt werde ich einige Zeit benötigen, um wieder einzuschlafen, denke ich, und ziehe die nassen Socken aus. Ich lasse sie auf dem Boden liegen. Wenn das Unwetter weiter so tobt und der Regen gegen meine Rollläden im Schlafzimmer schlägt, brauche ich erst gar nicht ins Bett zu gehen. Ich kann die Rollos auch nicht oben lassen, weil dann die Straßenlaterne in mein Schlafzimmer scheint. Bis vor vier Wochen hatte ich eine Schlafmaske, die aber mit meiner Ex verschwand. Ich greife nach dem Päckchen Magentabletten auf meinem Wohnzimmertisch, das Sodbrennen möchte einfach nicht aufhören. Morgen werde ich noch einmal bei meinem Hausarzt anrufen und fragen, was er mir da für einen Mist verschrieben hat. Mit etwas Wasser schlucke ich zwei Tabletten hinunter und bemerke einen Zettel auf der anderen Seite meines Tisches. Der lag doch eben noch nicht da, denke ich, und greife danach. Es sieht nach einer Einkaufsliste oder nach einem Rezept aus. In einer schönen Handschrift ist darauf geschrieben. 
 Eine Handvoll Knochen, Wasser aus der Quelle, eine Handvoll Brennnessel, ein Bund Giersch, 3 Stängel Schafgarbe, 3 schwarze Möhren, weiße Zwiebeln, 1 Blatt Lorbeer, 4 Blatt Löwenzahn, 3 Scheiben Ingwer, Selleriewurzel, Chilischote, Lauch nur das weiße, Kürbiskerne, Lavendel. Das Ganze muss einen Tag kochen und dazu den Spruch: aus zwei… , dann endet es. Ich wende den Zettel, auch auf der Rückseite steht nichts weiter. Was soll ich damit anfangen? Ich zerknülle den Zettel und werfe ihn in mein Wohnzimmer. Der Schein meiner Stehlampe ist nicht hell genug, um zu sehen, wo der Papierball gelandet ist. Ich mache die Lampe wieder aus und drehe mich auf die Seite, um vielleicht noch etwas Schlaf zu bekommen. Das Sturmklingeln an meiner Haustür holt mich unfreiwillig aus meinem Schlaf, schon wieder. Die Sonne scheint hell durch das Fenster. Der Tag hat längst begonnen. Ich reibe meine Augen und warte noch einen Moment, in der Hoffnung, dass das Klingeln aufhört. Doch wer auch immer vor meiner Tür steht, denkt nicht daran, aufzugeben. »Ja, verdammt, ich komme ja.« Ich habe keine Lust, meine Laune aus meiner Stimme herauszuhalten. Ich schlurfe zur Haustür. Durch den Spion sehe ich meine neue Nachbarin und lege meine Stirn kurz an das kühle Holz. Die hat mir gerade noch gefehlt, denke ich und atme tief durch, bevor ich ihr öffne. »Darf ich mal auf ihren Balkon?« Fragt sie mich aufgebracht. »Was wollen sie auf meinem Balkon?« Ich versperre ihr den Weg zu meiner Wohnung. Nervös tippelt sie von einem Fuß auf den anderen. »Salem sitzt auf ihrem Balkon«. »Wer?«, frage ich. »Mein Kater sitzt auf ihrem Balkon, ich möchte ihn holen.« Ich verdrehe die Augen. »Kommt das dumme Ding da nicht allein runter?«, frage ich und kann meinen Spott nicht verbergen. Die Augen von meiner Nachbarin verengen sich zu kleinen Schlitzen. »Er ist noch klein, und nein, er kommt da nicht von allein runter.« Mit diesen Worten drückt sie sich an mir vorbei und eilt in mein Wohnzimmer. Sie öffnet die Balkontür und ein kleines schmutziges, nasses Fellbündel schießt miauend herein. »Hallo? Halten Sie bitte ihre Katze fest!« Schnell schließe ich die Wohnzimmertür, damit dieser wild gewordene Fellklumpen nicht meine ganze Wohnung verwüstet. »Salem, bitte, komm da raus.« Von meiner Nachbarin sehe ich nur noch ihren wohlgeformten Po und ihre schlanken Beine, die unter dem Sofa herausschauen. Ich kann nicht sagen, dass mir dieser Anblick nicht gefällt. Die Frauen, die ich bis jetzt kannte, lagen immer auf meinem Sofa, nicht darunter. Ich überlege, wie sie sich mir vor vorgestellt hat. Wie ich sie anreden soll. Mir möchte ihr Name nicht einfallen. Da sie mir vor zwei Wochen ihren Nachnamen nicht gesagt hatte, duze ich sie ab jetzt. »Entschuldigung?« Ich weiß nicht, wo ich sie antippen kann, ohne diese Situation auszunutzen. Auf ihren Po? Auf die Rückseite ihrer Oberschenkel? Wohl eher nicht. Ich stecke meine Hände in die Hosentaschen. »Würdest du unter meinem Sofa vorkommen?« Sie robbt in gleichmäßigen Bewegungen hervor und immer mehr ihres Körpers kommt zum Vorschein. Sie steht auf und klopft sich auf ihre Brust und den knappen Shorts. »Erstaunlich sauber bei dir.« Stellt sie fest und lächelt mich an. »Meine Ex«, sage ich nur. »Deine Ex kommt zum Putzen vorbei?« Sie legt ihren Kopf schief und runzelt die Stirn. »Nein«, lache ich laut los, »es ist nicht lange her, wo sie ausgezogen ist«, erkläre ich. Sie legt ihren Kopf auf die andere Seite. »Mach das noch einmal.« Ich stutze, »was soll ich noch einmal machen?« Frage ich sie. »Lachen«, sagt sie und versucht, ruhig zu bleiben. Ich erkenne ein leichtes Zucken um ihre Mundwinkel. »Warum?« Frage ich schmunzelnd. »Das steht dir besser als deine grantige Art, die du sonst immer an den Tag legst.« Mir fehlen die Worte und ich glaube, dass mir sogar der Mund offensteht. Ihre offene Art verblüfft mich. In diesem Moment kommt der kleine Kater wie ein Blitz unter dem Sofa herausgeschossen. Wir schauen ihn nach, wie er auf den zerknüllten Zettel, den ich gestern Abend durch mein Wohnzimmer geworfen habe, stürzt und ihn durch das Zimmer kickt. »Salem, jetzt komm her.« Sie greift nach dem Kater, der sich in ihren Armen wehrt und lieber wieder jagen möchte. »Jetzt hast du ihn ja endlich wieder.« Sage ich zu ihr. »Ja, deshalb bin ich einfach herübergekommen.« Verlegen schaut sie auf das Fellknäuel auf ihren Arm, der mit ihrer Halskette spielt. »Ich sollte dann …«. Ich falle ihr ins Wort. »Vielleicht kannst du mir helfen? Ich habe da was.« Ich bücke mich nach dem Papierball und versuche, ihn zu glätten. »Das scheint ein Rezept zu sein, aber ich denke, da fehlt was.« Meine Nachbarin beugt sich nach vorn, um den Zettel zu lesen. Ihr Kopf schnellt zurück, mit weit aufgerissenen Augen schaut sie mich an. »Wo hast du das her?« Fragt sie und schaut noch einmal drauf. »Er lag gestern Abend auf meinen Couchtisch, ich weiß nicht, wie er dort hinkam.« Sie reißt mir den Zettel aus der Hand. »Das gibt es doch nicht.« Murmelt sie und starrt weiter auf den Zettel. »Kennst du das Rezept?« Sie nickt und schüttelt dann ihren Kopf. »Was jetzt, ja oder nein?« Frage ich noch einmal nach. »Ja, ich kenne es, es ist eine Suppe«, sagt sie abwesend. »Wo genau hast du ihn gefunden?« Ich zeige auf die Stelle, wo das Rezept gestern Abend lag. »Wie kommt es dahin?« Sie starrt die Stelle an. Ich bin mir nicht sicher, ob die Frage an mich gerichtet ist. »Wahrscheinlich ist er durch den Sturm gestern hineingeweht.« Schlussfolgere ich, weil er bestimmt nicht hierher gezaubert wurde. »Ganz bestimmt.« Sie schaut mich wieder an. »Du kannst die Suppe gerne probieren.« Sie grinst. Ich fühle mich etwas überrumpelt. »Ja, gerne«, sage ich spontan. »Jetzt?« Frage ich noch einmal nach. »Warum nicht, ich kann die Suppe bei mir holen, sie benötigt noch etwa eine Stunde.« Ich zucke mit den Schultern, »Warum nicht?« Sie setzt ihren Kater auf den Boden. »Bin gleich wieder da.« Ruft sie und ist schon aus der Haustür verschwunden. »Warum hat sie dich denn hiergelassen?« Frage ich den verdutzten Kater und streichele ihn über den Kopf. Er schmiegt sich gegen meine Hand und fängt sofort an zu schnurren. Eigentlich ist er sehr niedlich. Ich nehme ihn auf den Arm und setzte mich auf mein Sofa. Sofort rollt er sich auf meinen Schoß zusammen und schlummert schnurrend ein. Ich höre die Tür und dann das Klappern von Töpfen. Eins muss man meiner Nachbarin lassen, schüchtern ist sie nicht. »Ich würde dir gerne helfen«, rufe ich so laut, dass sie mich verstehen kann, aber das kleine Fellknäuel auf meinen Schoß nicht erschrickt. »Schon okay, ich komme klar.« Gelegentlich höre ich sie etwas murmeln, kann es aber nicht verstehen. Nach einer Weile sitzen wir zusammen und genießen die verdammt leckere Suppe. Salem spielt wieder mit dem zerknüllten Rezept. »Jetzt erzähl aber mal, woher du das Rezept kennst?« Sie räuspert sich und legt ihren Löffel beiseite. Es ist ein Rezept meiner Tante Walpurga. »Ist sie Köchin?«, frage ich interessiert. »Nein.« Sie lächelt. »Sie ist eine Hexe.« Ich schlucke den Löffel Suppe, den ich mir gerade in den Mund geschoben habe, hinunter und schaue auf den Teller vor mir. »Was war das für eine Suppe?«, frage ich erschrocken nach. Mir wird mulmig, als ihr Grinsen breiter wird. »Das war Amors Liebessuppe.« Ich schaue sie an, unfähig etwas zu sagen. »Eigentlich wollte ich was gegen Ärger und Wut haben, für dich.« Sie hebt ihre Arme, »aber wenn sie dir das Suppenrezept schickt, wird sie sich bestimmt etwas dabei gedacht haben.« »Gegen Ärger und Wut?« Ich versuche, die Informationen zu ordnen. »Ja, du bist immer so grantig, da dachte ich …« Ich falle ihr ins Wort. »Bist du auch eine Hexe?« Sie wiegt ihren Kopf hin und her, »ich bin noch nicht so gut wie Tante Walpurga, aber ich übe fleißig.« Ich stehe auf und gehe um den Tisch. »Und da dachtest du, du übst mal an deinem grantigen Nachbarn.« Sie steht langsam auf und ich sehe an ihrem Kehlkopf, dass sie schlucken muss. »Und was hast du da vorhin gemurmelt?« Sie nimmt meine Hand. »Willst du es wirklich wissen?« Fragt sie leise und fesselt mich mit ihrem Blick. Ich nicke, unfähig etwas zu sagen. Sie beginnt die Worte leise, ohne den Blick von mir abzuwenden.                                                                                                                                    

»Aus zwei mach eins, sonst lieber keins, aus gestern leer, mach heute voll! Aus hier und da mach gut und wahr. Aus hin und her mach immer mehr, aus niedrem Triebe mach wahre Liebe!«                                                                                                                                    

Sie steht jetzt so dicht vor mir, dass ich ihren warmen Atem auf meinem Gesicht spüre. Ich hebe meine Hand und streichele über ihre Wange. »Ich glaube, ich sollte dich sofort küssen, wer weiß, was deiner Tante sonst noch einfällt.« Ich lege meine Lippen auf ihre und spüre ihren warmen Körper an meinem. An unseren Beinen schleicht leise miauend Salem umher. Ich löse mich von ihr, da kommt mir ein Gedanke. »Denkst du, deine Tante hat auch deinen Kater auf den Balkon gehext?« Sie reißt die Augen auf und muss dann kichern. »Zuzutrauen wäre es ihr.«

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