Die Farbe ihres Blutes war das Letzte, was mir Sorgen bereitete. Viel mehr war es ihr Gesamtzustand. Auch konnte ich mir jetzt keine Gedanken machen, womit ich es überhaupt zu tun hatte. Es ging darum, die Blutung zu stoppen und ihr damit das Leben zu retten. Sie lag vor mir und ich war mir sicher, es mit keinem menschlichen Wesen zu tun zu haben, obwohl es ein menschlicher Körper war. Ihre Augen glichen der einer Katze. Ihre Haut sah aus wie Pergament. Dort, wo ich sie berührte, wurde sie durchsichtig und ich konnte ihr Blut pulsieren sehen, ihre Muskelkontraktionen beobachten. Etwa zehn Zentimeter um meine Fingerkuppe, die ihren Oberarm berührte, sah ich, was in ihrem Inneren passierte. Ich strich vorsichtig ihren Arm entlang, runter zu ihrem Handgelenk und der leuchtende Fleck zog mit meinem Finger mit. Fasziniert schaute ich ihm nach. Ihr plötzliches Stöhnen brachte mich ins Hier und Jetzt zurück. Ich musste dieses wunderschöne Wesen retten und ihre Blutung stoppen. Wenn sie mir hier verblutet, hätte ich eine einmalige Chance verspielt. Ich war Arzt und wollte wissen, wer oder was sie war. Ich zog meinen Pulli aus und drückte ihn auf ihre Wunde. Sie schloss langsam die Augen und es schien, als ob all ihre Kraft aus ihrem Körper wich. »Nein, nein, nein.« Ich schrie fast. »Bitte tu mir das nicht an.« Meine Stimme wurde wieder leiser. Schweißperlen bildeten sich auf meiner Stirn. Ich nahm den Bund meines T-Shirts, um mir über das Gesicht zu wischen. Mein Puls beschleunigte sich. Hektisch sah ich mich um. Ich musste sie hier wegbringen. Aber wie sollte ich das anstellen? Ich kann sie schlecht auf dem Fahrrad transportieren und meine Waldhütte war mindestens einen Kilometer entfernt. In einer halben Stunde ging die Sonne unter, und der zunehmende Mond war noch zu schwach, um der Nacht ein Licht zu schenken. Ich kann sie auch nicht liegen lassen, um mein Auto zu holen. Ich glaubte nicht an andere Menschen, die sie finden würden, dafür waren wir zu abgelegen. Dachte an andere Tiere. Nein, ich kann sie hier nicht allein lassen. Ich verringerte kurz den Druck auf der Wunde, um zu schauen, wie stark sie noch blutete. Erleichtert stellte ich fest, dass die Blutung fast aufgehört hat. Ich setzte mich in das feuchte Gras und bettete ihren Kopf auf mein Bein. Langsam strich ich über ihren Kopf. Dieser Einblick in ihren Körper faszinierte mich so sehr, dass ich vorsichtig meinen Finger wandern ließ. Ihre Augen waren immer noch geschlossen. Mein Blick fiel auf ihre Brust. Zu gerne würde ich dort schauen, ob sie ein Herz, wie wir Menschen hat. Ich vermutete es stark, war sie uns doch so ähnlich. Ich zuckte zusammen, als sie die Augen öffnete. Wir schauten uns an, unsere Blicke verhakten sich ineinander. Ihre Augenfarbe hatte sich verändert, es war nicht mehr dieses Gelbbraun, was an Apfelmus erinnerte; sie wurden zu einem strahlenden Grün. Aus einem unbekannten Grund sahen sie menschlicher aus. Ich konnte aber den Unterschied nicht ausmachen. Doch, es war der Augapfel, der jetzt auch weiß wurde und die Iris in Grün strahlen ließ. Jetzt, wo sie mich anschaute, traute ich mich nicht, weiter ihren Körper zu erkunden, und hielt inne. Sie nahm ihre Hand und deutete auf ihr Schlüsselbein, ihr Blick war auffordernd; ich sollte sie dort berühren. Mit meiner Hand an dieser Stelle durchzog mich eine Wärme, die ich noch nie zuvor gespürt habe. Kleine Impulse krochen durch meinen Arm und fluteten meinen Körper. Ich schloss meine Augen und genoss das unbekannte Gefühl. Die Wärme zog bis in meine Seele, und ein Gefühl, das ich seit Langem verloren geglaubt hatte, breitete sich aus. Liebe. Es war, als ob sie mich innerlich verbrennen würde. Ich riss die Augen auf und zog meine Hand zurück. Was zum Teufel passierte hier? Oder sollte ich sagen, was um Himmelswillen ist hier los? Ich konnte nicht mehr klar denken, mein Körper verlor alle Kraft, die er noch hatte. Ich sank in das feuchte Gras. Das innerliche Feuer ließ mich nicht frieren. Die erste Panik ebbte langsam ab und es blieb ein Gefühl des Glücks zurück. Ich spürte eine Hand auf meiner Wange, zart und warm legte sie sich auf meine Haut. Ich konnte meine Augen nicht öffnen, ich hatte Angst, dass alles vorbei sein wird, dass dieses Gefühl wieder verschwindet, sobald ich sie öffnen würde. Wollte es festhalten, nie wieder loslassen. »Das kannst du, du schaffst das.« Ich wusste nicht, ob ich die Stimme wirklich hörte, oder sie nur in meinen Gedanken existierte. Aber ich vertraute ihr. »Ich kam zu dir, um sie dir zu zeigen, die Liebe zu dir selbst, mit der alles anfängt und aufhört.« Die Worte drangen wie süßer Honig in meine Seele und legte sich schützend auf meine Wunden. Von denen ich einige hatte. Konnte das wirklich passiert sein, bin ich zwischen die Welten geraten, um dort gerettet zu werden? Ich wollte diesen Gedanken jetzt nicht weiterführen, ich wollte es genießen, solange es anhält. Ich spürte die Wärme von ihr, nicht nur da, wo sie mich berührte, auch tief in mir drin. Immer wieder spürte ich ihre Berührungen auf meiner Wange, ihre feuchten Finger strichen über mein Gesicht. Aber warum waren ihre Finger feucht? Weinte sie etwa? Ich öffnete die Augen und sah ihre Augen vor mir. Ich schaute sie an und hatte das Gefühl, in meine eigene Seele zu blicken. Wieder fing sie mit ihrem Daumen einer meiner Tränen auf und da verstand ich, dass ich weinte. »Ich glaube, du bist so weit, du schaffst es ab hier allein.« Sie erhob sich langsam, ihre zarte Gestalt schien immer heller zu leuchten. Ich lag noch im feuchten Gras und beobachtete sie. »Wie heißt du überhaupt?« Ich war zu schwach, um es laut auszusprechen; ich hoffte, sie würde meine Gedanken lesen können. »Nenn mich, wie du willst.« Sagte sie leise lächelnd, entfernte sich immer weiter von mir und verglühte am Abendhimmel. Plötzlich wurde es kalt, sie hatte die Wärme mitgenommen. Um mich vernahm ich leise Stimmen, die immer lauter wurden. »Wir haben ihn wieder«, sagte eine Frauenstimme und, »Hallo, hören sie mich?«, eine männliche. Ich spürte raue, große Hände an meinem Gesicht. »Können sie die Augen öffnen? Herr Weber?« Ich zwang mich, meine Lider zu bewegen, und es funktionierte. Vor mir sah ich einen jungen Mann mit blonden Haaren, der mich anlächelte. »Mein Name ist Markus Schneider, der Notarzt, sie hatten einen Unfall. Wir haben sie reanimiert und bringen sie jetzt ins Krankenhaus.« Ich stöhnte auf, als ich versuchte, mich umzuschauen. »Bitte bleiben Sie liegen. Sie haben eine große Wunde am Bauch und auch ihr Kopf hat einiges abbekommen.« »Hab …, haben sie Sie gesehen?« Stotterte ich leise und war mir nicht sicher, ob man mich verstehen konnte. Der Notarzt ging nicht auf meine Frage ein. »Sie sind mit dem Fahrrad gestürzt, ich muss ihnen noch Blut abnehmen, um ihren Alkoholspiegel zu messen.« Ich nickte, es würden einige Promille zusammenkommen, ich erinnerte mich wieder. »Die junge Joggerin hat sie Gott sei Dank gefunden«, er deutete auf eine Frau, die am Krankenwagen stand und mit einer anderen Frau redete. Sie sah kurz zu mir und ich konnte trotz der Entfernung ihre grünen Augen erkennen. Wieder war es kurz da, diese Wärme und das Glücksgefühl. War sie gekommen, um mich zu retten? Nicht nur hier? Ich hörte die Stimme, die in Gedanken zu mir sprach: »Ich konnte dich hier retten, aber dein Leben, das musst du selbst retten. Denke an die Liebe, die in dir steckt und an das Glück, was du gespürt hast.« Ich schloss die Augen und meine Lippen formten ein leises »Danke«, was ich in die Welt schickte, und ich wusste, dass es an der richtigen Stelle ankommen wird. Ich spürte die Zuversicht in mir, mein Leben in den Griff zu bekommen.

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